Österreichischer Buchpreis 2025 geht an Dimitré Dinev
Am Montag wurde zum Auftakt der Buch-Wien-Woche die Auszeichnung zum zehnten Mal verliehen. Den Debütpreis erhielt Miriam Unterthiner für „Blutbrot“ (edition laurin).
Welches ist das beste heimische Buch des Jahres? Am 10. November gab die Verleihung des Österreichischen Buchpreises die Antwort: Dimitré Dinev erhält die mit 20.000 Euro dotierte Auszeichnung für „Zeit der Mutigen“. 22 Jahre hat der Autor sich seit seinem letzten Roman „Engelszungen“ (2003) Zeit gelassen für sein drei Familien, vier Generationen und ein Jahrhundert umspannendes Epos. Es geht darin auf den Fersen der Figur Meto durch Monarchie, Faschismus und Kommunismus.
1968 in Bulgarien geboren und 1990 nach Österreich geflohen, ist Dinev seit 2003 Staatsbürger. Neben den beiden Romanen hat er Theaterstücke, Erzählungen und Drehbücher verfasst.
„Mir fehlen die Worte, alles, was ich zu sagen habe, habe ich in diesem Buch gesagt. Drinnen sind auch alle Worte, die ich auf Deutsch kenne“, scherzte Dinev zu Beginn seiner Dankesrede über das 1100-Seiten-Opus (Kein & Aber Verlag). Es gebe keinen Preis der Welt, der ein Buch besser machen könne, aber dieser Preis könne sein Leben leichter machen, sagte er, und bedankte sich zuerst bei allen Juroren und Jurorinnen, die für ihn gestimmt hätten, sowie denen, die sich umstimmen hätten lassen, dann bei seinem Lektor.
JURY-Begründung:
Man steigt atemlos in diesen Text ein: Eva, ein Dienstmädchen, will sich in der Wiener Donau ertränken, verliert stattdessen ihre Unschuld in den Armen eines Leutnants, der Krieg bricht aus, sie wird Krankenschwester, sucht ihren Liebhaber, findet ihn, er erkennt sie nicht wieder, sie gibt ihm eine Chance, er nützt sie nicht, sie lässt seine Wunde nicht heilen, um ihn zu halten, lässt sein Bein amputieren, um ihn zu binden, doch er überlebt die Operation nicht. Das ist kein Spoiler, denn man hat bis an diese Stelle erst 15 Seiten gelesen. Wie kann der Autor diese Intensität 1200 Seiten halten, fragt man sich. Er kann.
Dimitré Dinev hat zwanzig Jahre an seinem Mammutroman „Zeit der Mutigen“ gearbeitet: ein Panorama von vier Generationen, das sich von den Wirren der k. u. k. Monarchie über Faschismus und Kommunismus bis in die 1990er-Jahre spannt. Im Zentrum steht Meto, eine schillernde Figur, die gleichsam als historischer Zerrspiegel durch die Epochen wandert. Seine Amnesie nach einem Kopfschuss im Zweiten Weltkrieg ermöglicht Dinev ein Spiel mit Identitäten, das in immer neuen familiären Verzweigungen aufgeht. Ein Netz aus Geschichten entfaltet sich, in dem Kriege, Despotien und Zufälle die Schicksale der Menschen lenken und in dem die Donau als verbindendes, unaufhörlich fließendes Motiv alle Stränge zusammenhält.
„Zeit der Mutigen“ ist ein Kraftakt, ein „totaler Roman“, der an die großen Erzähler des 20. Jahrhunderts erinnert, aber eindeutig im 21. Jahrhundert beheimatet ist und in einer Reihe mit Roberto Bolaños „2666“ oder Hilary Mantels „Wolf Hall-Trilogie“ stehen kann. Ein humanistisches Monument von einem Buch, das größer ist als Österreich, und das zeigt: Die Zeit der Mutigen ist noch lange nicht vorbei.
Foto: APA/Roland Schlager