Als der Bär aus dem Winterschlaf aufwachte, hatte er den Kopf voll mit schönen Gedanken. Daraus machte er ein Gedicht. Ein sehr langes und sehr schönes Gedicht, dachte er. Je länger es wurde, um so schöner wurde es. Das muß auch gesagt werden. Einen Vers nach dem anderen dachte der Bär. Beim Denken brummte er. Kaum war der letzte Vers vollendet, hatte er das Gedicht auch schon vergessen. (Weil er es nicht aufgeschrieben hat!) “Macht nichts”, sagte der Bär und merkte sich die Stelle genau, an der ihm sein Gedicht abhanden gekommen war. Das Gedicht sickerte mit dem schmelzenden Schnee in die Erde. Ein halber Vers wurde von einem Maulwurf gefressen. Die übrigen Verse stiegen in den Gräsern an die Erdoberfläche hinauf. Der Bauer mähte der Wiese das Gras ab und machte mit dem Rechen lauter kleine Grasschober, die aber in Wirklichkeit Verse waren. Das wußten die Kühe des Bauern zu schätzen. Die Bäurin molk die Kühe leer und tat alle Milch von allen Kühen zusammen. Das Gedicht war nun ganz weiß und stieg mit dem Rahm an die Oberfläche. … (aus “Die Geschichte vom schönen Gedicht” Verlag Beltz & Gelberg) Eberhard Haidegger, geboren 1940 in Deutenham (Oberösterreich) ist den Salzburgern seit vielen Jahren als Autor wundersamer, skurriler und satirischer Geschichten für Kinder, Jugendliche und Erwachsene bekannt.