Einleitung: Hannes Höller ‚Träume werden nicht erwachsen. Träume sind ohne Zeit. Die Geschichte von Jelena Felder ist auch ohne Zeit. Dennoch hat ihr Abschied eine eigene Stunde. Auf der Straße der Bilder herrscht das Gleichmaß. Aber welches Gedächtnis hat der Abschied, welche Farbe, welchen Geruch? (…) Die Lichter des Busses sind stärker als die Farben der Frühe. Sie zerschneiden die Landstraße, bis die Mittellinie verschwindet. Die Dorfkirche schnellt vorbei und ist ein großer Vogel, die Schwingen tragen die einmal vom Großvater geläuteten Glocken davon, hinaus auf die nahen Felder, hingestreckte Morgenstücke einer vergehenden Kindheit. Der Friedhof lag als einziger schwer auf der Erde, gebunden vom Gewicht der Toten, dem letzten Regen und den Wurzeln der Pinie.‘ ‚Tito ist tot‘ heißt der Erzählband, mit dem Marica Bodrozic 2002 debütierte und für den sie große Aufmerksamkeit erlangte. Auch ihr erster Roman, der nun vorliegt, führt zurück in das ehemalige Jugoslawien und erzählt die Geschichte von Jelena Felder und ihrer Familie als die Geschichte eines Abschieds, der an kein Ende kommt. Weg vom ersten Land, der ersten Sprache, in ein ‚Ausland‘, das weit sein mußte, zu weit für die Phantasie. Später wird dieses erste Land zum Ort, der als erinnerter realer und mächtiger erscheint als die Gegenwart. In immer neuen Anläufen und in eigenständiger Sprache, die bei aller lakonischen Distanz weite poetische Bögen gestaltet, erkundet dieser Roman die Räume des uneinholbar Vergangenen, das nur in der Vorstellung zu klaren Bildern wird. Marica Bodrozic, geboren 1973 in Dalmatien, lebt seit 1983 in Deutschland. Sie studierte Kulturanthropologie, Psychoanalyse und Slawistik in Frankfurt. Für ihr Debüt ‚Tito ist tot‘ erhielt sie 2001 das Hermann-Lenz-Stipendium, 2002 den Heimito-von-Doderer-Förderpreis sowie 2003 den Adalbert-von-Chamisso-Förderpreis. Büchertisch: Rupertus Buchhandlung